Dienstag, 28. Mai 2019

Kommunismus



"Ich schlage vor, die Rechtsform der Kapitalgesellschaft durch solche Eigentumsformen zu ersetzen, 
bei denen Unternehmen faktisch sich selbst und damit der Gesamtheit ihrer Belegschaft gehören."

Aus einem Interview mit Sahra Wagenknecht 
zu ihrem Buch "Reichtum ohne Gier"

....   

Marktwirtschaft ist ein Überbleibsel des Mittelalters, wo Marktverhältnisse Sinn machten, da man die 
verschiedenen Tätigkeiten recht gut miteinander vergleichen und in ein Verhältnis zueinander bringen 
konnte.

Die industrielle Revolution jedoch sprengte diese Verhältnismäßigkeit. 

Das extreme Anwachsen der Produktivität, und die damit einhergehende Ausweitung der Arbeitsteilung, 
mit immer ausgefeilterer Spezialisierung, gab der Produktion aller Güter und Dienstleistungen einen 
grundsätzlich gesellschaftlichen Charakter: Wir produzieren "für die anderen", nicht für uns. Letzteres 
wäre mittelalterliche Subsistenzwirtschaft, und die gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch allgemein  
gesellschaftliche Produktion, wo alle arbeitsteilig für alle produzieren. 

Allerdings ist dieses Produzieren weiterhin privat organisiert, nicht gesellschaftlich.

Wir alle produzieren also als Gesellschaft die Reichtümer und Wohltaten dieser Welt. Jedoch zu 
Bedingungen, wo uns die Mittel dieser Produktion enteignet sind, und auch all die Sachen und Taten, 
die wir schaffen, nicht uns gehören, sondern denen, für die wir arbeiten. Diese wiederum vermarkten 
unsere Schöpfungsakte und geben uns einen Teil ihrer Erlöse in Form von Lohn und Gehalt, wodurch 
wir erst am real existierenden -- von uns allen geschaffenen -- gesellschaftlichen Reichtum teilhaben 
können.

Es geht somit weniger um die Verteilung des Reichtums, sondern um dessen Produktion.

Die Anerkennung der Tatsache, dass seit der industriellen Revolution individuelles Produzieren immer 
mehr zurückgedrängt wird und die Produktion von Gütern und Dienstleistungen einen grundsätzlich 
gesellschaftlichen Charakter entwickelt hat, führt zu der Frage, wie wir diese Erkenntnis so umsetzen 
können, dass Produktion insgesamt auch entsprechend organisiert ist.

Oder anders formuliert: Wie könnte gemeinschaftlich (gesellschaftlich) organisiertes Wirtschaften 
konkret gestaltet werden. Hier unser Vorschlag:

Daseinsfürsorge (Gesundheit, Wohnraum, öffentliches Transportwesen, Bildung, Finanzen, Internet, 
Wissenschaft, Information, Grundnahrungsmittel, Wasserversorgung, Energie -- Kurz:  
Alles, was über den Status Ware bzw. Dienstleistung hinausgewachsen ist und Infrastruktur 
darstellt) gehört in staatliche Hand. Und zwar radikal demokratisch organisiert, von unten nach oben, 
so dass die demokratischen Akteure nicht mehr politische Parteien sind, sondern Betriebsräte, Vereine, 
Genossenschaften.

Wir stellen uns das weniger wie einen Staat vor, sondern eher wie ein Netzwerk aus Produzenten und 
Konsumenten (die zwei Kammern) sowie von denen gewählte Vertreter für die regionale und nationale 
Ebene. Es wird ohne Frage weiterhin ein Staat sein -- ein Nationalstaat, um genau zu sein -- nur eben 
anders strukturiert und organisiert. Öffentliche Gewalt hätte rein administrativen Charakter und stünde 
mitten in der Gesellschaft, sie wäre nicht länger eine von der Gesellschaft getrennte und ihr 
entgegenstehende Macht.

Auch die Gewaltenteilung wird beibehalten und mit der Publikative (Medien) zu vier Gewalten ausgeweitet.

Alle Produktion hingegen, die nicht unerlässlich für die Daseinsfürsorge ist -- zum Beispiel Handwerk, 
Gastronomie, Prostitution (die Definition dessen muss politisch definiert werden, dazu weiter unten) -- soll 
weiterhin marktwirtschaftlich organisiert bleiben.

Es geht also nicht darum, Eigentum abzuschaffen oder so etwas. Sondern es geht um Fabriken, Raffinerien, 
Krankenhäuser, Banken, Verkehrsbetriebe, Wasserbetriebe, Elektrizitätswerke. Wozu brauchen solche 
Betriebe Eigentümer, die nichts zur eigentlichen Produktion beitragen? Eigentümer, wohlgemerkt, nicht 
Manager!

Es geht darum, dass die Produktionsmittel denen gehören, die sie auch in Bewegung setzen.

Daher brauchen Handwerk, Gastronomie, Prostitution nicht zwangsläufig eine gemeinschaftliche 
Organisierung. Eben weil diese Leute (in der Regel) bereits über ihre Produktionsmittel verfügen. 
Diese gehören ihnen und sie sind diejenigen, die sie in Bewegung setzen, um etwas zu produzieren: 
Werkzeug, Küche, Körper.

Auch der Taxifahrer kann individuell wirtschaften, als weiteres Beispiel. Der U-Bahn-Fahrer aber wird sich 
in den Verkehrsbetrieben genossenschaftlich organisieren und als arbeitsteiliges Kollektiv wirtschaften.



Wie aber erkennt man, ob etwas "über den Status Ware bzw. Dienstleistung hinausgewachsen ist 
und Infrastruktur darstellt"?

Adam Smith hat drei Arten von Einkommen unterschieden: Lohn, Profit, Rente. Und mit Rente meinte er 
Einkommen, dass durch Eigentum zustande kommt, also Pacht für Land, Miete für Wohnraum, Dividenden 
für Anteile, etc. Kurz: Leistungsloses Einkommen.

Ich würde noch eine vierte Art von Einkommen hinzufügen, das ebenfalls leistungslos ist: Wohlfahrt 
(bzw. in privatisierter Form: Wohltätigkeit).

Wenn etwas leistungsloses Einkommen ermöglicht, also Rente und Wohlfahrt, dann haben wir es mit 
Infrastruktur zu tun. Einkommen durch Rente aus Eigentum funktioniert ja nur deshalb, weil seine 
Nutznießer für die Gesellschaft notwendige Infrastruktur vereinnahmt haben. Diese Bereiche sollten 
daher nicht privatwirtschaftlich organisiert sein, sondern gesellschaftlicher Auftrag. Lohn und Profit 
hingegen, also an Leistung bzw. Einsatz gebundenes Einkommen, sollten marktwirtschaftlich ausgehandelt 
werden können.

....   

Wir lehnen jedes utopische Verständnis von Sozialismus oder Kommunismus ab. Diese philosophischen 
Gedankenspielereien sind oft Überbleibsel aus dem 18. und 19. Jahrhundert und in großen Teilen 
wissenschaftlich schon lange überholt. Vier Punkte, um das zu konkretisieren:


1) Recht auf Eigentum!

Die berühmte Parole "Eigentum ist Diebstahl" mag in Zeiten des Mangels durchaus Sinn gemacht haben. 
Angesichts der enormen Produktivität heutzutage jedoch macht es keinen Sinn, das Konzept Eigentum 
abschaffen zu wollen. Denn de fakto ist doch die Enteignung der Diebstahl, also der "Ausschluss der 
anderen vom Gebrauch der Sache". In Zeiten von Massenproduktion und Überfluss bedingt das eine schon 
lange nicht mehr das andere.

Die Konzepte Eigentum und Enteignung sind wohl so alt wie das menschliche Bewusstsein, und es war 
immer erstrebenswert, Enteignung zu vermeiden und stattdessen Eigentümer zu sein. Wir gehen also 
davon aus, dass es eine anthropologische Konstante ist und bestehen auf dem Recht auf Eigentum.



2.) Gegen falsch verstandene Kollektivität!

Kann etwas wirklich unvermittelt "gesellschaftliches Eigentum" sein, also auf Deutschland bezogen, 
80 mio Menschen gehören? Oder ist wirkliche Kollektivität auf überschaubare Gruppen zu beschränken?

Wir denken, dass sowohl historisch als auch psychologisch ist die Antwort klar ist, und verweisen auf 
Dunbar's Number, der zufolge das Optimum für stabile Gemeinschaften bei einer Mitgliederzahl von 
circa 150 Personen liegt. Erst seit gut 20-30 Jahren weiß man, dass die kognitive Grenze der Anzahl an 
Menschen, mit denen eine Einzelperson soziale Beziehungen unterhalten kann, sich zwischen 100 und 
250 bewegt. Jedes Verständnis von Kollektivität hat diese Tatsache zu berücksichtigen.

Das heißt nicht, dass Unternehmen nicht größer als 150 Mitarbeiter sein dürfen, sondern nur, dass die 
Untereinheiten entsprechend gestaltet sein sollten.

3.) Wettbewerb und Konkurrenz

Auf den Einwand, dass auch Genossenschaften untereinander konkurrieren müssten, im Kampf um 
Absatzmärkte, was daher die gleichen destruktiven Folgen nach sich ziehen würde wie der Monopol-
Kapitalismus, erwidern wir:

Worum kämpft man denn in dieser "Konkurrenz" angesichts der Lage, dass es mit heutiger Produktivität 
de fakto keinen Mangel geben kann?

Es wird selbstverständlich weiterhin Wettbewerb geben, den wird es immer geben. Wettbewerb artet 
nicht zwangsläufig in feindschaftliches Konkurrenzgebaren aus, sondern kann freundschaftlicher bzw. 
sportlicher Natur sein: Ein fairer Vergleich von Leistungsfähigkeit und schöpferischem Vermögen der 
Menschen.

In Zeiten des Überflusses muss Wettbewerb nicht zwangsläufig in Feindschaft ausarten. Man konkurriert 
nur, wenn Sachen begrenzt zur Verfügung stehen. Mangel und "begrenzt zur Verfügung stehen" sind 
angesichts der enormen Produktivität und riesigen Überkapazitäten jedoch künstlich geschaffene 
Phänomene: Sie sind Folge des fundamentalen Prinzips, den Bedürfnissen der Eigentümer gerecht zu 
werden, und nicht den Bedürfnissen der Schaffenden.



4.) Eine Abschaffung des Geldes wird es nicht geben

Auch wenn die industrielle Revolution die Verhältnismäßigkeit des Marktes sprengte, so hebt sie den Markt 
als solches nicht auf. Denn der Markt repräsentiert nicht nur ein Verhältnis, sondern auch Vermittlung, in 
anderen Worten: Kommunikation. Geld ist Sprache, es vermittelt Produkte und Dienstleistungen. Die 
Forderung, Geld abzuschaffen, ist daher genauso sinnlos, wie es wäre, die Abschaffung der Sprache zu 
fordern, weil es ungerechte Diskurshegemonien, Rhetorik und Propaganda gibt.

Das Ende des Mangels als bestimmender Faktor für menschliches Verhalten wird auch dem Geld seine 
jetzige Gewalt, Absolutheit und Totalität nehmen.

Mit einer durchdringenden Vergenossenschaftlichung der Wirtschaft wird den real existierenden Ausbeutungs- 
und Herrschaftsstrukturen ihre Grundlage entzogen. Und der entscheidende Schritt dahin ist eine "Reform" 
des Rechtssystems, welche in letzter Konsequent aber eine Revolution bedeuten würde. Eine Rechtsform, 
die das Eigentum an die konkreten Produzenten vor Ort überträgt, macht die Bildung von Konzernen 
unmöglich und hat zwangsläufig dezentrales und vernetztes Wirtschaften zur Folge. Das ist eine Form von 
"gelebter Vergesellschaftung" und steht in deutlichem Gegensatz zur zentralistischen Kommandowirtschaft, 
die letztlich einen Staat als entfremdeten Akteur über die Gesellschaft stellen muss ("tote Vergesellschaftung").

Die Vergesellschaftung der Wirtschaft ist bereits real, aber in einer der Gesellschaft entfremdeten und 
enteigneten Art und Weise.

Die Vergenossenschaftung der Wirtschaft ist die aktive Aneignung dieser entfremdeten enteigneten 
Vergesellschaftung. Packen wir es an!

....   

Was wir definitiv in Verbindung mit Vergenossenschaftung diskutieren müssen sind Fragen wie die Sinnhaftigkeit 
vieler Tätigkeiten, Wochenarbeitszeit, Ausbildung, usw. Auch weniger Materialverbrauch und dafür ein mehr an 
menschlicher Arbeit (Wartung, Reparatur, Tuning, Recycling, haltbare/dauerhafte Produkte, usw) gehört als 
Forderung auf die Tagesordnung. Des weiteren eine zeitgemäße Anpassung des Patentrechts ebenso wie die 
Aufhebung der Trennung von Handarbeit und Kopfarbeit, welche eine Veränderung der menschlichen 
Bedürfnisstrukturen nach sich ziehen und die Situation insgesamt verändern würde. Letzteres wäre unserer 
Ansicht nach recht einfach zu erreichen: Durch ein neues Verständnis von Bildung, wo "handwerkliches 
Geschick" ebenso als Bildung gilt wie Goethes "Faust". Aber, wie gesagt, diese und ähnliche Fragen müssen 
überhaupt erst einmal (neu) diskutiert werden.