Samstag, 14. Mai 2016

Postmoderner Faschismus

Zunächst als Nachtrag zu meinem vorigen Beitrag:
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Artikel über den Bischof der Syrisch Orthodoxen Gemeinde in der Schweiz:
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/was-heute-im-nahen-osten-geschieht-wird-auch-in-europa-passieren/story/15073220
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"Es sei naiv zu glauben, dass sich die Millionen von Flüchtlingen, die jetzt über die Türkei nach Europa kämen, alle anpassen und mit den Christen in Europa in Frieden zusammenleben ­würden. Auch unter den Flüchtlingen gebe es Terroristen. «Warum nehmen die Golfstaaten, die Emirate und Katar keine Flüchtlinge auf?» Weil es ihre Agenda sei, Europa zum Islam zu ­konvertieren."
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Film-Beitrag über einen Geflüchteten, der wieder nach Syrien zurückgekehrt ist:
http://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Rueckkehrer-fuehlt-sich-in-Syrien-sicherer-als-in-Europa-article17493251.html
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Ist der Salafismus der "Protestantismus" bzw. die "Reformation" des Islam? Oder schlicht der Nazi-Ersatz für den Imperialismus, der Faschismus des 21. Jahrhunderts?
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Der wohl bekannteste Schriftzug in arabischer Kalligraphie ist die "Shahada", das muslimische Glaubensbekenntnis:
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"La ilaha illa 'llah, Muhammad rasulu 'llah" -- Es gibt keinen Gott außer Gott, Mohammad ist der Gesandte Gottes
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Es ist z.B. auf der Flagge Saudi-Arabiens zu sehen, vor grünem Hintergrund:


Vor schwarzem Hintergrund gilt es als Flagge des Dschihad und wird von diversen islamistischen Gruppen genutzt:


 Und auch wenn es für einen Laien auf den ersten Blick überhaupt nicht danach aussehen mag -- auf der Flagge des "Islamischen Staates" steht genau das Selbe, Wort für Wort: "La ilaha illa 'llah, Muhammad rasulu 'llah"


Die Unterschiede fallen sofort auf, vor allem diese doch recht untypische, ja, man kann sagen: absolut profane Schrift, ohne jegliche kalligraphische Schönheit und Ästhetik. Das ist die absolute "Pop-Kulturalisierung" einer einst blühenden Hochkultur -- und perfekter Ausdruck dessen, dass der IS Pop-Kultur in Reinform ist. Darauf komm ich gleich zurück.
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Eine weitere graphische Besonderheit: der zweite Teil der Shahada -- "Mohammad ist der Gesandte Gottes" -- ist in Form eines Siegels dargestellt.
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Das ist der bildliche Ausdruck dessen, dass Muhammad im Islam als "Siegel der Propheten" gilt. In dem Sinne, dass es auch vor ihm Propheten gab (Abraham, Moses und Jesus [der im Islam nicht als "Sohn Gottes" gilt, sondern eben als Prophet]), Muhammad aber der Letzte sei und nach ihm keine mehr kämen. Er besiegelte also die Linie der Propheten.
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Der Überlieferung nach soll Muhammad sich einen Siegelring zugelegt haben, wo eben diese Worte eingraviert waren. Seine Nachfolger Abu Bakr und Umar sollen noch über ihn verfügt haben. Der dritte Kalif jedoch, Uthman, verlor angeblich diesen Ring in einem Brunnen in Medina und fertigte daher eine Kopie an.
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Uthman war übrigens derjenige, der den Koran (wörtl. "das zu Rezitierende", also etwas, das man auswendig kann) niederschreiben ließ, und somit die bis heute gültige Version der heiligen Schrift schuf. Er soll insgesamt sieben Abschriften des Qur'an in Auftrag gegeben haben: eine blieb bei ihm, sechs verteilte er im Reich. Und schon diese sieben sollen sich in Details unterschieden haben. Ausführlich dazu:
https://islamanalyse.wordpress.com/uberlieferung/

Man kann durchaus die These vertreten -- und ich tue das hiermit --, dass der von den Salafis angestrebte Ur-Islam mit Uthman sein unwiederbringliches Ende fand. Weil es eben Uthman war, nicht Muhammad, der jegliche islamische Wahrheit prägte. Wahrscheinlich ein früher Komplott der Juden, haha! :D [Ironie!]

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Als die Osmanen Bagdad eroberten, fanden sie angeblich einen Brief, auf dem eben dieses Siegel abgebildet sei, und brachten ihn als Reliquie nach Istanbul, wo er heute noch im Topkapi Palast aufbewahrt wird. Höchstwahrscheinlich ist es jedoch eine Fälschung der Osmanen.
https://en.wikipedia.org/wiki/Seal_of_Muhammad
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Auf den online zu findenden Bildern dieses Siegelabdruck kann ich nicht erkennen, ob das Siegel auf der Flagge des IS sich daran orientiert, aber ich geh mal davon aus. Unabhängig von der so konstruierten historischen Kontinuität (Salafisten beziehen sich ja auf die "Salaf", die "Altvorderen", auf die frühsten und somit rechtgläubigsten Muslime) ist diese Schreibweise in ihrer Schlichtheit jedoch vor allem eine Form von Populismus, eine "Anerkennung" der realen, alltäglichen Schreibweise des Arabischen, jenseits seiner künstlerisch hoch entwickelten Schönheit, welche der Feder kalligraphischer Spezialisten entspringt. Pop-Kultur wie sie im Lehrbuch steht, Warhol lässt grüßen.


Der Islamwissenschaftler Olivier Roy schrieb: "Bin Laden hat dem Islam die Kultur entzogen, und so hat er ihn attraktiv gemacht als globale Ideologie." (Wo ich schonmal dabei bin, will ich euch auch Gilles Kepel empfehlen.)
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Mit diesem Satz ist enorm viel gesagt. Es erfasst meiner Meinung nach den Kern des Projekts "IS".
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Um mich dem Thema auf einem anderen Pfad zu nähern (Kultur und Geschichte waren meine Schwerpunkte während des Studiums), zitiere ich mal den von mir sehr geschätzten "Palette". In Erwiderung auf einen Beitrag bei Telepolis, wo die derzeitigen Kriege im Nahen Osten als Konfessionskrieg zwischen Schiiten und Sunniten dargestellt wurden, als eine Art "Nachholen des 30-jährigen Krieges" (so als sei dies eine "historisch notwendige Entwicklungsstufe der Menschheit"...), schrieb er Folgendes, wie ich finde, sehr Richtiges:
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"Um ein Äquivalent zum 30-jährigen Krieg in der islamischen Welt zu
haben, müsste sich innerhalb der sunnitischen Glaubensrichtung eine
"protestantische" Abspaltung etablieren.
  .
Der 30-jährige Krieg war eine "innerkatholische" Auseinandersetzung.
Die eigentliche Parallele zu Sunniten-Shiiten heißt im Christentum
Katholizismus-Orthodoxie.
  .
Ich hoffe, Sie können mir folgen.
  .
Man könnte natürlich auch schlussfolgern, dass eben die Wahhabiten
die sunnitischen Protestanten sind, aber das wäre dann doch zu sehr
konstruiert - was solche historischen Übertragungen immer sind, denn
sie erklären nichts, sie können höchstens zum Verständnis beitragen,
wenn man sich nicht allzusehr in die Realität eines anderen
Kulturkreises hineindenken möchte (oder kann).
  .
Es ist wie mit Sprache: Sie können keine Sprache mit einer anderen
ersetzen, aber Sie können jede Sprache in eine andere übersetzen. Und
jeder weiß: es gibt gute und schlechte Übersetzungen.
- was "Einsprachige" in der Regel schlecht bewerten können..."

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Aber ich denke eben, dass die Wahabiten und Salafisten durchaus diese "Protestanten im Islam" sind, und der Dschihadismus somit die "Reformation" des (sunnitischen) Islam.
Jedoch künstlich geschaffen, und sich dabei am historischen Beispiel des katholischen Protestantismus orientierend.
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Kurzer Geschichts-Exkurs: Anders als in der Ostkirche, wo jedes Volk seine eigene Sakralsprache hatte, galt in der Westkirche, im Katholizismus, nur Latein als heilig (neben den Originalen: Hebräisch fürs Alte und Griechisch fürs Neue Testament). Die deutsch-sprachige "Lutherbibel" war daher im Katholizismus etwas wirklich Revolutionäres.
Die katholische Geistlichkeit wollte weder eine unkontrollierte Verbereitung von Bibeln noch Bibelübersetzungen, um Fehlinterpretationen und Ketzerei zu vermeiden ("Bibelverbot"). Das Deutungsmonopol sollte entsprechend geschulten Personen vorbehalten bleiben.
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Die Lutherbibel machte dem ein Ende.
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Die 1454 (in Latein) gedruckte Gutenberg-Bibel leitete eine Revolution ein, die mit der (deutschen) Luther-Bibel von 1522/34 volle Fahrt aufnahm.
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Zwar gab es schon zuvor Übersetzungen, aber sie blieben ohne Massenwirkung. In Polen z.B. hatte sich Königin Sophia ab 1433 die erste polnische Übersetzung anfertigen lassen. Für den Eigengebrauch, da sie kein Latein konnte. Erst über 100 Jahre später, 1561, wurde die Leopoliten-Bibel (Leopolit = Lemberger, aus Lvov) gedruckt, die 1593 von der bis ins 20.Jh maßgeblichen "Jakob Wujek-Bibel" abgelöst wurde.
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So gab es im gesamten Mittelalter vereinzelte Übersetzungen, aber erst ab Mitte des 16.Jh., mithilfe des Buchdrucks, führen die Übersetzungen der Heiligen Schrift in die Volkssprachen zu einem Erodieren der Autorität der Geistlichkeit, die schließlich in den 30-jährigen Krieg münden wird.
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Es gibt Leute, die derzeit ein solches Erodieren geistlicher Autorität im Islam ausmachen. Eben damit erklären sie den an die historischen Kharijiten erinnernden Takfiri-Dschihadismus ("Takfir" = jemanden als "ungläubig" bzw "vom Glauben abgefallen" definieren) des "Islamischen Staates".
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Wer Englisch kann, lese dieses Interview mit Shaykh Hamza Yusuf, wo er genau dies anspricht:
http://thesaker.is/playing-with-religious-fire/
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Heute kann jeder Muslim den Koran lesen, und sich dabei seine persönlichen "Perlen" herauspicken. Für Shaykh Hamza Yusuf ist eben das die Ursache für islamistischen Wahnsinn.
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Meiner Meinung nach ist da was dran -- aber warum gerade jetzt? Buchdruck und Alphabetisierung sind keine neuen Erscheinungen im Nahen Osten. Ebenso haben Jahrzehnte der Sekularisierung diese Gesellschaften tief geprägt, trotz des institutionellen Mittelalters hier und da im Rechtssystem sind das keineswegs "mittelalterliche" Gesellschaften.
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Mit Sheykh Hamzas These könnte man die "erste revolutionäre islamische Bewegung" erklären, die Muslimbrüder (ab 1928), nicht aber den "Islamischen Staat".
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Ich würde den IS daher als gezieltes Projekt auffassen, und zwar aus folgendem Grund: Während soziologische Umbrüche die Muslimbrüder hervorbrachten (und somit also Hassan al-Banna quasi das Equivalent zu Martin Luther wäre), macht es der IS genau andersherum: Er macht sich soziologische Umbrüche zunutze [welche genau, und wofür, ist ein eigenes Thema, wahrscheinlich das meines nächsten Beitrags]. Und das sehr geschickt.
Die Denke des IS ist eben keine aus der heutigen Realität entstandene, sondern eine von Profis geschaffene Ideologie.
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Die zuvor angesprochene Nutzung der arabischen Schrift ist ein ästhetischer Ausdruck dessen, ebenso wie die hochauflösenden, professionell gemachten Propaganda-Clips des IS.
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Der heutigen Realität entsprechend entsteht eigentlich eine andere Ideologie, sie findet Ausdruck in der "recht großen, urbanen, gebildeten und jungen Gemeinschaft von Muslimen (die es in allen islamischen Ländern gibt), welche typisch postmodern ohne politisches Konzept lediglich einen "Lifestyle" repräsentiert."
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(Ebenfalls vom zuvor erwähnten "palette". Wobei ich das nicht als quasi "natürliche" Folge einer angeblichen Postmoderne, sondern politisch erklären würde: Die "Liberalen" auf der Welt kennen nur eine Heimat -- den sog. Westen, sprich: die USA -- und verlassen sich auf deren Institutionen...
Oder genauer gesagt: der Hegemon erlaubt nur das alternativlose Konzept des Neoliberalismus, und zwar in einer totalitären Form: politisch, ökonomisch, kulturell, ja, sogar historisch gedacht, bis in die Ebene konkreten Handelns. Ich fand sehr beeindruckend, wie ein Kollege aus Afrika bei dem Sozialforum in Wroclaw schilderte, dass es praktisch unmöglich geworden ist, unabhängig von westlichen NGOs zivilgesellschaftlich aktiv zu sein.
Zugleich aber hat der Hegemon bei weitem nicht die Macht, sein hegemoniales Versprechen auch einzulösen: https://www.youtube.com/watch?v=-LPCauj9LJw) 
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Ich möchte an dieser Stelle an das berühmte Zitat von Max Horkheimer erinnern: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“. Vielen vor, während, und auch nach dem Zweiten Weltkrieg war die enge Verbindung zwischen Kapitalismus und seinen Akteuren (insbesondere big business und Finanzwesen) und Faschismus bekannt. Heute ist es meist bloß noch ein sinnentleerter Slogan, wenn nicht gar vollends in Vergessenheit geraten.
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Und der Islamismus ist heute das, was der deutsche Nationalismus während der 30er war: die erhoffte Rettung des Kapitalismus' in der Krise, der Versuch, dieses System (mal wieder) mithilfe von Krieg und Faschismus zu erhalten.
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Eigentlich wollte ich hier noch einen sehr guten Beitrag über Brzezinskis geopolitisches Konzept vom Nahen Osten verlinken, Grundlage der Idee eines "amerikanischen 21. Jahrhunderts" -- aber ich finde es grad nicht. Reich ich nach.
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Eins noch: "Allahu akbar" heißt nicht einfach "Gott ist groß", sondern "Gott ist größer". Da das vergleichende "als" (min [من]) fehlt, wird es meist mit "Gott ist am Größten" übersetzt. Es gibt jedoch Stimmen, die sagen, dass es durchaus vergleichend gemeint war: "Unser Gott ist größer als eurer", im Sinne von 'Der Gott der Araber (Allah) ist größer als der anderer Völker'. Gerade die Frühzeit des Islam war sehr ethno-zentristisch -- die heilige Schrift wurde in Arabisch offenbart und ist unübersetzbar -- von daher denke ich, dass dieses vergleichende Element im "Takbir" (Allahu akbar sagend) von zentraler Bedeutung war, und in Grunde auch heute noch ist.

1 Kommentar:

  1. Naja, Wahhabiten und Salafisten gibt es schon lange, von einer "künstlich geschaffenen Reformation des Islam" zu sprechen ist insofern Quatsch... Bezogen auf den IS mag man das so sagen können, nicht aber bezogen auf Wahhabismus, Salafismus und Dschihadismus insgesamt.
    -- palette

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